Rückblick auf die Gemeinderatssitzung vom 24. August 2022
Was sich am vergangenen Mittwoch im Rathaus abspielte, war wohl nicht das rühmlichste Kapitel in der Geschichte der Frauenfelder Politik – aber hoffentlich ein Fingerzeig für die künftige Zusammenarbeit zwischen Exekutive und Legislative.
Eine zweite Lesung zu einem Geschäft! Sowas habe ich – immerhin seit 5 Jahren im Gemeinderat – noch nicht erlebt. Seit ich dabei bin, war es immer der Stadtrat, der dem Gemeinderat den Fahrplan zu wichtigen Geschäften vorgab: «Ihr müsst diesem Geschäft heute zustimmen, sonst erhalten wir die Fördergelder vom Bund nicht» oder «Wenn sich der Gemeinderat hier querstellt, können wir die Ausführung des Projekts nicht garantieren». Solche Formulierungen finden sich in den Botschaften und mündlichen Ausführungen des Stadtrates zuhanden des Gemeinderates praktisch regelmässig. Und Letzterer spielte das Spiel sogar jedes Mal mit und knickte vor den Drohungen der Exekutive ein – bis zum Geschäft «Reglement über die Errichtung und den Betrieb von Fernwärmeversorgungen», das mit dem am Mittwoch angenommenen Antrag auf eine dritte (!) Lesung den Politsommer überdauert.
Die Vorgeschichte
Für diese zweite Lesung vom letzten Mittwoch, die durch unseren Fraktionspräsidenten beantragt wurde, hatte sich im Juli also die Mehrheit des Gemeinderates ausgesprochen, da diverse Fragen offensichtlich noch nicht geklärt waren. Schon dazumal war die vorberatende GPK, in der ich als Beobachter sitze, einstimmig für das Reglement. Da sich zwischen der GPK-Sitzung und der ersten Lesung im Rat aber neue Fragestellungen ergaben, hielten wir eine zweite Lesung für angebracht. Für uns waren klare Diskrepanzen zwischen dem Reglement und den Ausführungen in der Botschaft vorhanden (Details in der Thurgauer Zeitung). Auch störte sich mindestens ein Teil der SP-Fraktion an der Tatsache, dass der Gemeinderat mit dem neuen Reglement die Tarifhoheit abgeben würde (Ausführungen dazu auf nau.ch).
Die Dynamik im Gemeinderat
Nach den Sommerferien hiess es also: 2. GPK-Sitzung und 2. Lesung im Rat. Und wiederum sprach sich die GPK einstimmig für das Reglement aus und wiederum kamen nach der GPK-Sitzung neue Fragen auf den Tisch, offensichtlich nicht nur bei der SP. Wir beabsichtigten am Mittwoch, unseren Unmut über die Unklarheiten in einem knappen Votum kundzutun und uns bei der Schlussabstimmung dann individuell zu verhalten. Im Rat setzte dann aber eine ganz eigentümliche Dynamik ein, wie ich sie in diesem Parlament noch nie erlebt habe. Roland Wetli von der CH meldete Bedenken an, ob das Reglement juristisch «verhebet» und konnte damit auch einen Teil der rechten Ratshälfte überzeugen. Der Antrag auf eine dritte Lesung folgte dann sogar von der SVP, wogegen sich der Stadtrat und insbesondere die FDP-Fraktion mit Händen und Füssen zu wehren versuchten. Tatsächlich wurden an diesem Abend im Gemeinderat nicht einfach vorgefertigte Voten runtergelesen, damit man mit etwas Glück später in der Zeitung erscheint. Nein, es wurde tatsächlich politisiert!
Während der Voten gesellten sich einzelne Ratsmitglieder zu anderen Fraktionen und versuchten diese murmelnd von ihrer Meinung zu überzeugen. Diverse Personen meldeten sich ohne vorbereitetes Votum zu Wort, was immer wieder eine willkommene Abwechslung ist. Die Sitzung musste gar unterbrochen werden, damit sich die Fraktionen absprechen konnten. Was in anderen Parlamenten absolut üblich ist, hat in Frauenfeld leider Seltenheitscharakter.
Die Rolle des Stadtrates
In diese Zeit fiel dann auch die Reaktion vom zuständigen Stadtrat Fabrizio Hugentobler. Anstatt sachlich auf die offenen Punkte einzugehen, nutzte er seine Redezeit dafür, den Ratsmitgliedern und Fraktionen vorzuwerfen, dass sie sich halt besser hätten informieren sollen und damit schuld an der ganzen Misere seien. Schliesslich seien 104 Tage seit der Veröffentlichung der Botschaft verstrichen.
Inhaltlich gebe ich dem Stadtrat teilweise ja sogar recht, die offenen Fragen hätten unbedingt schon früher diskutiert werden müssen – die Fraktionen haben versagt! Aber in einer solch aufgeheizten Stimmung den Gemeinderat, von dem man gerne ein Reglement abgesegnet hätte, mit Vorwürfen einzudecken, dürfte nicht die zielführendste Idee des Abends gewesen sein. Ich würde sogar behaupten, dass sich bei einigen Ratsmitgliedern dadurch eine Trotzreaktion einstellte, was den Weg zur dritten Lesung ebnete. Diese wurde mit 16 Ja- zu 14 Nein-Stimmen bei 2 Enthaltungen beschlossen. Somit haben wir noch mindestens bis zum 21. September Zeit, die offenen Punkte zu klären und das Reglement dann, evtl. mit Änderungen, final abzusegnen. Ich bin da auch relativ zuversichtlich, wir müssen nur endlich aus den Fehlern lernen.
Die nötigen Lehren
Für die Fraktionen ist klar, dass ihre Unklarheiten jetzt angegangen werden müssen, und zwar vor und nicht während der dritten Lesung. Hier fanden Verfehlungen statt – auch bei der SP.
Sehr zielführend wäre es zudem auch, wenn der Stadtrat die Angelegenheit und vor allem den Gemeinderat endlich ernst nehmen würde. Der Zeitplan für das Inkrafttreten des Reglements ist nun anders, als der Stadtrat sich das gewünscht hätte. Ob die Volksabstimmung zum Ausbau der Wärmeringe wie geplant am 25. September stattfinden kann, ist zurzeit noch unklar. Aber trotzdem bin ich entschieden der Meinung, dass wir das Reglement erst absegnen dürfen, wenn es ausgegoren ist. Das ist unsere Aufgabe als gesetzgebende Gewalt.
So lernt der Stadtrat halt auf die harte Tour, dass er nicht immer den Takt vorgeben und zeitlich knapp mit seinen Vorlagen an den Gemeinderat gelangen kann. Ich bin froh, dass die Legislative der Exekutive mal ihre Grenzen aufgezeigt hat.
Ralf Frei, Gemeinderat